Geschmack auch ohne Laktose und Gluten
Aus der Mainpost vom 06.09.2012:
„Vor 20, 30 Jahren“, das weiß auch Konditormeister Rainer Schuler, „haben Produkte für Diabetiker oder Nahrungsmittelallergiker gradnaus gschmeckt.“ Deshalb hafte gerade solchen Süßspeisen auch heute noch ein schlechtes Image an: „Die Leute denken, ohne Zucker und viel Fett verzichten sie auf irgendwas.“ Dass dem nicht so sein muss, beweist der Waigolshäuser mit seinem aktuellen Sortiment. Allerdings nicht ganz freiwillig, sondern eher notgedrungen.
Denn in der Familie Schuler grassieren diverse Ausprägungen von Lebensmittelallergien. Der vier Jahre alte Sohn Ferdinand hat nach seiner Geburt „wochenlang nur geschrien“, erinnert sich Mama Nadja. Ein Allergietest ergab: Er verträgt weder weißen Zucker (der aus Rüben gewonnen wird) noch Weizenmehl. Zutaten, die in jeder Backstube selbstverständlich sind. Die Ernährung wurde umgestellt, das Kind war fortan schmerzfrei und lammfromm. Ein Jahr später traf es Papa Rainer selbst mit Ausschlägen und Juckreiz. Auch bei ihm wurde eine Weizenmehlallergie diagnostiziert; Zeit, auf diese Zutat gänzlich zu verzichten.
Familiäres Erbe
Dann kamen vor anderthalb Jahren die Zwillinge Emil und Valentin zur Welt. Allergiker, natürlich. Emil traf es am schlimmsten: Er verträgt keinerlei tierisches Eiweiß, muss sich also praktisch „vegan“ ernähren. Valentin hat dieselben Probleme wie Brüderchen Ferdinand. Um bei Emil ein Umkippen der Allergie in eine chronische Neurodermitis zu verhindern, produziert Rainer Schuler seither überwiegend „nur noch Sachen, die wir alle problemlos essen können“. Zumal die über die Jahre sukzessive umgestellten Produkte – vornehmlich Torten, Kuchen und Pralinen – auch bei seiner Kundschaft guten Anklang finden. „Das hat sich verbreitet wie ein Lauffeuer“, sagt der seit 1996 selbstständige Bäcker, „ich hatte keine Ahnung, wie viele Menschen ähnliche Probleme haben.“
Statt Weizenmehl verwendet Rainer Schuler inzwischen vornehmlich Dinkel- oder Kartoffelmehl. Statt raffiniertem Zucker braunen Rohrohrzucker. Glutenfreie Kuchen oder Tortenböden werden aus Mais-, Reis- oder Hirsemehl hergestellt. Ihnen fehlt der „Mehlkleber“ Gluten und sie schmecken – so Schuler – „etwas nussiger und dadurch sogar ein wenig aromatischer“. Laktosefreie Milch oder Sahne wird aus Soja oder Reis gewonnen, Pudding wird mit Stärke angerührt, im Biskuitboden das Ei als Bindemittel durch Öl ersetzt, statt tierischer Butter kommt pflanzliche Margarine zum Einsatz.
Produktion ist teurer
Viele Schuler-Produkte sind laktose- und glutenfrei und auch für Veganer geeignet – also beispielsweise für den kleinen Emil. Die neue Produktion ist teurer; beim Wareneinsatz müsse man mit etwa 15 Prozent Mehrkosten rechnen, auch der Arbeitsaufwand sei erheblich höher. „Glutenfreies Mehl darf niemals mit Resten anderer Mehlstäube vermengt werden“, sagt Rainer Schuler; die Backstube müsse vor der Produktion dieser Nahrungsmittel akribisch gesäubert werden, da Zöliakie-Patienten schon auf kleinste Mengen Gluten heftig reagierten, „meist mit sofortigem Durchfall“.
So kosten die Spezialtorten denn auch 30 statt der im Hause üblichen 24 Euro – ein Plus von 25 Prozent, das die Kunden aber gerne investieren würden. Denn: „Wir hatten jetzt erst eine Frau, die hat zu ihrem runden Geburtstag Torten ohne Laktose, Gluten und Fructose bestellt“, erzählt der 50-jährige Konditor; über die Cappuccino- und die Schokosahnetorte habe sie sich gefreut wie ein kleines Kind: „Das hat sie wahrscheinlich schon Ewigkeiten nicht mehr gegessen“, mutmaßt Schuler.
Der Waigolshäuser „Bäck“ ist spezialisiert auf die Belieferung von Feierlichkeiten. Seine Läden im Heimatort und in Schonungen haben nur am Wochenende geöffnet, in Bad Kissingen betreibt er außerdem seit 2004 die „Schokoladenecke Jung“. Bislang hauptsächlich mit Handelswaren, künftig aber mit einem neu und selbst entwickelten Produkt: der Rohkostpraline aus Trockenfrüchtemehl und anderen natürlichen Zutaten. Im Laufe der Produktionsumstellung habe er viel Lehrgeld bezahlen müssen, „auch heute wandert so mancher Versuch direkt in den Müll“, sagt Rainer Schuler. Aber immer mehr Produkte sind etabliert und gewinnen Freunde in der gesamten Region. Die Familie hat aus der Not eine Tugend gemacht und dabei auch wirtschaftlich gewonnen.
Einladung: Zu einem Schlemmertag – laktose- und glutenfrei, ohne Ei, sowie vegan – lädt Rainer Schuler am Sonntag, 9. September, von 13 bis 17 Uhr nach Waigolshausen, Schulstraße 6.
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